Leben in Rente - zwischen Aufbruch und Abschied
Das Rentenalter – grosse Freiheit oder grosse Leere? Ein Ehepaar lässt uns teilhaben an den ersten Gehversuchen im sogenannten Ruhestand, und ein 92-Jähriger blickt auf die letzten Jahrzehnte zurück.
Inhalt
Nochmals neu anfangen? Ausbrechen aus dem gewohnten Trott? Unbekannte Horizonte entdecken? Wovon manche in der Lebensmitte sehnsüchtig träumen, wird allen ein Vierteljahrhundert später gesetzlich verordnet: Mit dem Tag der Pensionierung brechen wir auf in ein neues Leben – ob wir wollen oder nicht. In seinem Film begleitet Dieter Gränicher Gaby und Manfred Grütter durch das erste Jahr in Rente. Wir erleben das Ehepaar in einer Zeit des Loslassens. Beide haben ein erfülltes Berufsleben hinter sich und tasten sich nun, nach gleichzeitig erfolgter Pensionierung, gemeinsam durch Verlust- und Leeregefühle vorwärts zu einem sinnhaften neuen Alltag.
Vom Loslassen und Weitergehen erzählt auch der dritte Protagonist des Films – Hans Fischer, 92 Jahre alt. Nach dem Tod geliebter Menschen steht er im hohen Alter alleine da, konfrontiert mit schwindender Mobilität. Was ihm bleibt, ist das Klavierspiel, und wer ihm dabei zuhört, nimmt in seinem Musizieren nicht nur Wehmut wahr, sondern auch ungebrochene Lebendigkeit.
Dieter Gränicher zeigt in seinem Film das Sich-Einfinden im Rentenalter auch als Annäherung ans Ende. Gleichzeitig wird spürbar, dass gerade das Wissen um die Endlichkeit des Neustarts im Alter diesem eine grosse Intensität verleihen kann.
Zitate
Ich werde diese vielen Fenster von Menschen, die mir auf ihre Leben geöffnet wurden, vermissen. Ich habe 45 Jahre in der Pflege gearbeitet, und ich habe so viele Fenster gesehen. Und konnte reinschauen. Das werde ich wahnsinnig vermissen.
Gaby Grütter, Pflegefachfrau kurz vor der Pensionierung
Ich verliere meine Arbeitskollegen. Ich verliere meine Kundschaft, die über Jahre ein Vertrauen zu mir aufgebaut hat. Einige kommen und fragen, wie ist es. Kann Du das noch erledigen. Ich muss jetzt bereits sagen, nein, ich kann dir das nicht mehr erledigen, ich bin nachher in Rente.
Manfred Grütter, Gruppenleiter Erbschaftsamt kurz vor der Pensionierung
Wenn du pensioniert wirst, musst du unbedingt ein Hobby haben oder besser sogar zwei. Denn wenn der Beruf gleichzeitig das Hobby war, und man wird nachher pensioniert, hast du gar nichts.
Hans Fischer, pensionierter Klavierstimmer
Sechs Tage nach der Pensionierung. Schlecht geschlafen. Ich spüre eine Leere. Bin unmotiviert für alles. Spüre ich eine Leere, weil ich keine Aufgabe mehr habe? Ich nichts mehr tun muss, nichts mehr fertig sein muss? Haben die Freitage oder Ferientage schon jetzt nicht mehr dieselbe Bedeutung?
Tagebuch Gaby Grütter, pensionierte Pflegefachfrau
Ich bin Pflegefachfrau. Ich habe mich immer über meinen Beruf definiert. Jetzt bin ich das nicht mehr. Ich bin es zwar schon noch, aber ich arbeite nicht mehr. Ich habe das Gefühl, man muss sich über etwas Neues definieren. Man muss sich suchen.
Gaby Grütter, pensionierte Pflegefachfrau
Gedanken des Autors
Der Übergang vom Berufsleben in die Rente ist für fast jeden Menschen von zentraler Bedeutung. Es gibt wenige so markante Wendepunkte im Leben. Vergleichbare existenzielle Ereignisse sind die Geburt und der Tod. Auch das Gründen einer Familie oder der Einstieg in die Arbeitswelt nach der Ausbildung gehören dazu. Der Ausstieg aus der Arbeitswelt zwingt uns zu einem grundsätzlichen Umdenken unserer Lebensplanung.
Noch nie in der Menschheitsgeschichte sind in der Schweiz so viele Menschen mit 65 vital, aktiv und selbstständig gewesen. Sie haben in der Regel noch eine lange Lebenszeit in Aussicht, zwanzig Jahre und mehr. Zudem verfügen in der Schweiz viele über genügend finanzielle Ressourcen, um ein aktives Leben ohne grössere Geldsorgen zu gestalten. Sie können reisen und vieles geniessen, was unsere Wohlstandsgesellschaft bietet. Viele gehen diesen Übergang zum Rentnerdasein sehr bewusst an und haben ein grosses Bedürfnis nach Auseinandersetzung mit diesem Thema. Man will die verbleibende Zeit möglichst optimal nutzen.
Viele Pensionierte füllen ihren Terminkalender randvoll, fühlen sich aber gestresst und überfordert. Einen guten Weg zu finden, mit dem Freiraum, der sich plötzlich auftut, macht vielen Mühe. Ihre eigene Endlichkeit wird den Senioren unmittelbar bewusst. Es ist nicht jedem vergönnt, gesund und aktiv alt zu werden. Viele haben mit finanziellen Einschränkungen zu leben, kommen mit dem Alterungsprozess ihres Körpers nicht klar und leiden an Altersbeschwerden und Krankheiten, die kaum mehr besser werden, sondern meist schlimmer. Die heutige Welt überfordert sie zunehmend und viele werden einsam. Nicht wenige reisst der Tod schon vor dem hohen Alter aus dem Leben. Diese Begrenztheit der uns zur Verfügung stehenden Lebenszeit bildet den Hintergrund für den Film.
Eine grosse Zahl von Pensionierten kann ein erfülltes Leben führen, doch nicht wenige haben Schwierigkeiten mit dem Rentnerdasein. Sie hadern mit Freudlosigkeit und dem Gefühl, letztlich ihre Zeit totzuschlagen. Innere Leere kann entstehen. Mit zunehmenden Alter und dem Wegsterben von geliebten Menschen fühlen sich viele einsam. Welchen Sinn können sie ihren Leben geben? Der Film lotet den Übergang ins Leben ohne Erwerbsarbeit aus und zeigt, wie die Protagonisten mit ihrer neuen Lebensweise kämpfen und immer wieder nach einem erfüllenden Leben streben.
Mitarbeiter
Eric Stitzel, Dieter Gränicher,
Manfred Grütter, Gaby Grütter
Reto Stamm, Marco Teufen
Produktionsangaben
Pro Senectute
Belinda Sallin, Rajan Autze, Nicole Pallecchi,
Urs Augstburger