Grenzgänge mit Andrea Vogel
Grenzgänger Andrea Vogel durchquert die Sahara. 3000 Kilometer zu Fuss. Seine Frau organisiert die Tour und bangt um sein Leben.
Inhalt
Grenzgänger und Fotograf Andrea Vogel bricht von Timbuktu mit einer Salzkarawane auf, um die Sahara zu durchqueren. 3000 Kilometer zu Fuss. Jahrelang hat seine Frau Beatrice mitgeplant und organisiert. Zurückgeblieben in der Schweiz bangt sie um sein Leben, denn nach 800 Kilometern weigern sich Andreas Führer, ihn weiter zu begleiten. Er geht allein durch den Erg Chech, den Hitzepol der Erde, und erreicht sein Ziel Marrakesch nach 3 Monaten. Andreas Grenzgänge belasten die Ehe. Trotzdem bilden Andrea und Beatrice seit über 14 Jahren ein spannungsvolles Team, das seinen eigenwilligen Weg geht.
Gedanken der Autorin
von Bettina Schmid
Hier im Westen leben wir in relativ sicheren Zeiten. Von den meisten Gefahren, unter denen unsere Vorfahren litten, sind wir abgeschirmt. Doch einige Menschen, vor allem Männer, vermissen das Risiko und die Gefahr. Kinder spielen auch Jäger, Abenteurer und Entdecker. Der Drang zu erobern und zu entdecken ist urmenschlich. Wahrscheinlich wissen wir instinktiv, dass ein behagliches Leben in Sicherheit unsere Seele nicht ausfüllen kann. Irgendwo in uns schlummert der Jäger, der Abenteurer und Entdecker.
Andrea Vogel schreibt in seinem Buch „Grenzen“:
“Eine Expedition ist für den einen ein grosses Abenteuer, für den andern eine Flucht aus der Zivilisation und für einen weiteren eine Reise zu sich selbst.“
Abenteurer wollen über ihre Grenzen hinaus, um sich selbst kennen zu lernen. Gerade unter harten Herausforderungen lernen wir Menschen offenbar oft den Kern unseres Wesens am besten kennen und entwickeln so auch unser Selbstbewusstsein. Es scheint, als ob die Gefahr das Beste aus uns herausholen kann. Im toten Punkt, wenn alles aussichtslos erscheint und wir diesen schrecklichen Moment überwinden, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf ein einziges Ziel richten, dann erfahren wir oft einen fast übermenschlichen Schub von Energie und machen dann alles richtig ohne darüber nachzudenken. In der völligen Hingabe an unsere Aufgabe, wenn uns alles andere unwichtig wird, die Zeit vergeht, ohne dass wir es bemerken, und wir uns in tiefster Konzentration wie Kinder im Spiel geistig versenken, dann geraten wir jenseits des normalen Bewusstseins für kurze Zeit in den Zustand des „Flow“ und alles gelingt mühelos, vorausgesetzt, dass die entsprechenden Möglichkeiten in uns schlummern. Dieser mentale und physische Vorgang wird in allen Abenteuergeschichten beschrieben.
Viele sagen, den Durchbruch, den man an diesem toten Punkt erlebt, macht die Wahrheit des Lebens aus. Und ein Abenteurer ist jemand, der - wenn auch nur unbewusst - bereit ist, für diese Wahrheit sein Leben zu riskieren. Sie brechen auf zu ihrer Odyssee, verlassen das Bekannte, wagen sich an entlegene Orte, wo sie Prüfungen erwarten. Sie kommen mit Geschichten zurück von aussergewöhnlichen Körper- und Geisteszuständen, von Grenzüberwindung normalen, menschlichen Erfahrens und lassen uns die Übergangszone zwischen Leben und Tod erahnen, die Zone der Transzendenz.
Mark Twight, ein bekannter Bergsteiger, erzählt:
„Auf bestimmten Routen erreichte ich einen so intensiven Zustand von Konzentration und gleichzeitiger Gedankenentgrenzung, von mystischer Verbundenheit mit dem Berg, dass ich wusste, ich konnte nicht stürzen oder einen Fehler machen. Ich konnte die Gedanken meiner Partner lesen. Ich war der Schwerkraft entkommen. An solchen Tagen verlor ich mich selber. Ich wurde der Berg.“
Grenzgänger wie er gewähren uns einen Blick auf die zentralen Fragen unserer Existenz. Sie stossen in Bereiche vor, die wir nicht bedacht oder in unser Leben zu integrieren wagen. Mit ihren aussergewöhnlichen Geschichten rufen sie uns in Erinnerung, dass zum Leben nicht nur der Alltag gehört. Ihre Sprünge ins Unbekannte sind lebenswichtig für den menschlichen Geist. Abenteurer missachten oft das Gewöhnliche, setzen Zeichen und verschwinden wie Sternschnuppen, die uns zum Staunen bringen und dann erlöschen. Die Gesellschaft scheint Individuen, die ungeachtet des Preises Risiken eingehen, die den grossen Sprung ins Unbekannte wagen und ihre Zeit über die vertrauten Grenzen hinaustreiben, zu brauchen.
„Ich werde nicht sterben. Daher setze ich auch kein Testament auf, denn wenn ich es täte, würde ich ja vielleicht glauben, ich könnte beim Bergsteigen ums Leben kommen und dann müsste ich aufhören.“
Der schwedische Kletterer Göran Kropp schrieb dies 2001; ein Jahr später stürzte er zu Tode.
Psychologen betrachten diese Abenteurer in einem andern Licht und reden vom Peter Pan-Syndrom: ewige Kindheit. Männer mit dem Peter Pan-Syndrom seien voller interessanter Ideen und stets auf der Jagd nach ihren Träumen. Sie wirken charmant und unkonventionell und haben eine grosse Ausstrahlung auf Frauen. Sie langweilen sich aber schnell, müssen neue Pläne schmieden und haben Schwierigkeiten, Verpflichtungen einzugehen, besonders solche, die sie als alltäglich ansehen. Trotzdem können sie, wenn eine Aufgabe sie begeistert, 24 Stunden und länger ohne Unterbrechung arbeiten, bis sie fast zusammen brechen. Das normale Leben macht ihnen Angst. Darum sind sie lieber Abenteurer und bewahren sich den Luxus der Jugend. Mit der Verantwortung des Erwachsenenseins schwindet diese Illusion und mit den Jahren ersetzt Vorsicht den sorglosen Tatendrang. Dieser Reifeprozess findet bei Abenteurern weniger oder vielleicht auch gar nicht statt.
Der Himalaja-Bergsteiger Jim Wickwire schreibt im Buch „Süchtig nach Gefahr“:
„Ich stellte mir vor, dass ich immer, wenn ich mich da draussen auf dem Grat befand und bereit war, gegen meine Grenzen anzugehen, irgendwie auch die Grenzen der Sterblichkeit verschob. Dass ich die Sterblichkeit zurückdrängen würde, indem ich dem Tod ins Auge blickte und dann ins normale Leben zurückkehrte. Als Bergsteiger hatte ich mich an eine Art ewige Jugend geklammert.“
Auch die Wirtschaft braucht ihre „Helden“. Firmen, die bestrebt sind, das Engagement ihrer Mitarbeiter zu steigern, um effizienter zu werden, engagieren dafür gern Bergsteiger zur Motivationsarbeit. Unter dem Motto „Hinauf zu Spitze“ wurden schon Verkaufskampagnen mit dem Thema Bergsteigen gemacht. Mitarbeiter wurden durch E-Mails von einem bekannten Kletterer zum aggressiveren Verkauf ermutigt. Als Anreiz erhielten sie Geschenke wie Karabinerschlüsselringe und Kompass. Am Ende des Jahrs waren die Verkaufszahlen um über 20% höher. Der geschäftliche Erfolg wird gern mit dem Extremsport verglichen. Um die Risikobereitschaft, Teamarbeit und den Durchhaltewillen zu fördern, organisieren deshalb Firmen Weiterbildungen mit Abenteuern und Grenzgängern.
Mitarbeiter
Produktionsangaben
Michèle Sauvain, Barbara Riesen und Urs Augstburger